Ein Notfall am Bierpinsel, der Shisha-Laden und das blaue Kleid

Bierpinsel, ein bekanntes Gebäude in Berlin-Steglitz

Ich wohne in Berlin ziemlich günstig für alles, was ich im täglichen Leben so brauche. Ich präzisiere: für fast alles. Unbegreiflicherweise gibt es in meinem näheren Umfeld keine Drogerie, weder dm noch Rossmann noch irgendein anderer Laden dieser Art. Drogerie-Zeug einkaufen ist also immer ein Trip, den ich extra plane und so lange wie möglich aufschiebe.

Heute gab’s kein Entrinnen, denn mir ist die Kontaktlinsenlösung ausgegangen. Der Plan: rein, im Expressmodus den Einkaufszettel abarbeiten, raus, zurück an den Schreibtisch. Schnell soll es gehen, denn Zuhause wartet ein Textauftrag, den ich heute fertig stellen möchte.

Dann kam das Leben dazwischen in Form von zwei älteren Damen, einem Shisha-Laden und einem blauen Kleid.

Meine Einkaufstasche ist voll mit Shampoo, Kloreiniger und Teelichtern, und ich habe sogar an die Kontaktlinsenlösung gedacht. Ich bin im Stechschritt auf der Schloßstraße unterwegs, in etwa der Höhe vom Bierpinsel. Dieser bemalte Betonklotz ist eines der Wahrzeichen vom Berliner Stadtteil Steglitz, was sicher nicht daran liegt, dass er besonders schön ist. Mir kommen zwei ältere Damen entgegen. Sie unterhalten sich angeregt – und fallen vor meinen Augen wie aus dem Nichts einfach um.

Ich: zack, hin. Checke die Lage: die eine ist bewusstlos, die andere ist “nur” mit zu Boden gegangen, weil sie ihre Freundin nicht halten konnte. Um uns bildet sich eine Gruppe, und ich schalte in meinen Notfallfunktionsmodus um. Mir wurde schon vorgeworfen, ich mutiere dann zum emotionslosen Feldwebel mit Kommandoton, aber hey: Ich krieg ne Menge geregelt in dem Zustand.

Ich winke mir einen kräftigen Mann ran aus der Gruppe und wir tragen die Dame auf eine nahe Treppe. Sie ist wieder bei Bewusstsein, ich setze mich neben sie. “Möchten Sie vielleicht einen Schluck Wasser?” Sie nickt. Ich schicke eine Frau, die noch dabei steht, in den Shisha-Laden hinter uns, um ein Glas Wasser zu organisieren. Nach einigen Minuten ist sie immer noch nicht wieder da. Ich wundere mich, lasse die ältere Dame kurz bei ihrer Freundin und gehe hinterher. Die Wasser-Frau steht in der Kassenschlange und wartet geduldig bei sphärischen Klängen in Räucherstäbchen-Luft, bis sie dran ist.

Echt jetzt? Orrrr.

Ich hab keine Zeit für Tiefenentspannung und marschiere zackig nach vorn zum Menschen hinter der Theke: “Einer Dame geht es schlecht. Bringen Sie mir bitte ein Glas Wasser. Jetzt.” Mein Ton duldet keinen Widerspruch und der Mann wieselt nach hinten. Die Wasser-Frau verfolgt mich mit ihren Augen wie einen Tennisball auf dem Wimbledon-Court und ward nie mehr gesehen.

Wieder draußen. Die Dame trinkt, fühlt sich besser, will aufstehen – und sackt in meinen Armen zusammen. Sie ist das zweite Mal ohnmächtig in zehn Minuten. In liebevoll-direktem Ton überzeuge ich sie, dass es besser wäre, einen Krankenwagen zu rufen. Ihr ist das alles furchtbar unangenehm. Dieser Aufwand, den ich um sie mache. Alles gar nicht nötig! Doch, sage ich.

Dann warten wir. Etwa eine halbe Stunde. Ich sitze nicht am Schreibtisch, arbeite nicht den Auftrag ab, und höre stattdessen Geschichten. Die Dame erzählt von ihrem Sohn, über ihre Leidenschaft für luftige Blümchenkleider und über ihren verstorbenen Mann, der bei der Feuerwehr war. Sie beruhigt sich, und ich höre auf, mich zu ärgern, dass mein Plan für heute nicht funktioniert hat.

Der Krankenwagen kommt, sie winkt noch einmal, weg ist sie. Puh.

Ich atme tief durch, weiß nicht recht wohin mit mir. Vor einer Boutique steht ein Ständer mit bunten Kleidern, die lebhaft im Wind flattern. Hab ich mir verdient, denke ich. Und das schönste Kleid passt mir sogar.

Djuke Nickelsen in blau gemustertem Kleid
Mein neues Sommerkleid

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