5 Gründe, warum ich den Eurovision Song Contest liebe

Genderfluid - Djuke im Drag Outfit beim Eurovision Song Contest

Warum ich den ESC so liebe? In einem Satz: Der Eurovision Song Contest ist für mich pure Lebensfreude. Mir geht es dabei nicht nur um das große ESC-Finale, das immer im Mai live im TV übertragen wird. Wobei ich mich darauf natürlich auch freue! Am 13. Mai 2023 ist es wieder soweit – yeah! Mein ESC-Fieber fängt ab Februar an – dann, wenn die ersten Länder ihre Beiträge für den diesjährigen Wettbewerb bekannt geben.

Das Ganze hat keinen tieferen Sinn, ich verfolge damit kein bestimmtes Ziel oder will jemanden beeindrucken. Ich bekomme einfach nur gute Laune davon. Lebensfreude eben. Dabei ist mir egal, ob andere Menschen den ESC total peinlich finden. Es ist mir egal, ob andere den Wettbewerb belanglos und die Musik furchtbar finden. Und es ist mir egal, falls andere überrascht oder sogar schockiert sind, wenn sie erfahren, dass ich meine Zeit für „sowas“ verwende. Yep, alles schon passiert.

Ich sag darauf gerne: Du guckst Fußball, ich ESC. Das eine ist nur weiter verbreitet als das andere und entspricht damit mehr der momentanen gesellschaftlichen Norm. Deswegen oute ich mich jetzt, ganz offiziell: Ja, ich liebe den Eurovision Song Contest. Und hier sind die 5 wichtigsten Gründe, wieso.

1. Ich mag die Musik beim ESC

Mit diesem Geständnis kicke mich jetzt und für die Zukunft vermutlich von allen Coolness-Listen dieser Welt. Aber: Ich steh dazu. Inzwischen. 😊 Es gab mal eine Zeit, da fand ich es selbst uncool, dass ich tief in meinem Herzen Popmusik-Fan bin. Weil Pop so gewöhnlich ist, so gefällig, so gar nicht sophisticated. Pop ist die Abkürzung für: Populär-Musik. Pop soll die Massen ansprechen. Pop ist Mainstream.

Urks, Mainstream.

Oder?

Oder! Denn ich habe für mich festgestellt: Mein Leben ist komplex genug. Die zu lösenden Probleme sind hinreichend kompliziert. Mein Alltag hat etliche Herausforderungen, die mein Gehirn nonstop beschäftigen könnten. Da darf ich mir ein bisschen Entspannung durch un-anstrengenden Pop erlauben. Musik, die harmonisch und gefällig ist. Die meine Nerven beruhigt und nicht dran zerrt. Die vielleicht keinen deepen Text hat, aber dafür einen Beat, der meine Füße hüpfen lässt.

Da der Eurovision Sing Contest seit über 60 Jahren das Frühlingsfest der Popmusik ist: Yay – genau meine Veranstaltung!

2. Ich lerne ganz neue Künstler:innen kennen

Ich höre gern Musik, mache aber keine Wissenschaft daraus. Ich hab natürlich meine Lieblingsbands und Lieblingskünstler:innen. Aber manchmal möchte ich gern was Neues entdecken und finde das schwierig. Weil (mit Ausnahme des ESC) Musik mehr so ein Nebenbei-Ding ist, sind meine Hauptquellen für Neuheiten: 1. das Radio, 2. die persönlichen Mixtapes, die mir spotify anzeigt. Beides funktioniert dafür mehr so semi:

  • Im Radio dominieren die Titel, in die das meiste Marketing-Budget gesteckt wird. Die werden dann zu allen Tages- und Nachtzeiten hoch und runter gedudelt, was zur Folge hat, dass ich mich daran schnell über-höre.
    .
  • Die spotify-Listen werden von irgendeiner KI auf Basis meiner am meisten gehörten Tracks zusammengestellt. Was wirklich Überraschendes, das meinen Horizont erweitert, ist da nicht zu erwarten.

Auftritt: der Eurovision Song Contest! Der ESC wirkt disruptiv, er schüttelt meine Hörgewohnheiten ziemlich durch: Von Jetzt auf Gleich gibt’s ne Liste von etwa 40 Künstler:innen aus ganz Europa. Mit Songs, die unterschiedlicher nicht sein könnten und die keine KI aus meinen Hörgewohnheiten generieren könnte. Wie geil ist das denn bitte?

Ich könnte eine mehrere Stunden lange Playlist zusammenstellen (Moment… ich könnte? Nix da, Konjuktiv! Die Liste existiert!). Aber hier sind mal fünf musikalische Entdeckungen der letzten Jahre:

  • „I’m not your Toy“ von Energiebündel Netta aus Israel. Ungewöhnlich. Polarisierend. Auffällig.
  • “Amar pelos dois” – ein tief melancholischer Fado aus Portugal über eine Liebe, die nicht sein soll. Gesungen von Salvador Sobral.
  • „Discotheque“ – mit diesem Titel hat die Band “The Roop” aus Litauen den Corona-Feierverbots-Frust knallgelb weggetanzt.
  • „Tomorrow“ von Gianluca Medina aus Malta. Ein niedlicher Song mit klimperiger Ukulele für die leisen Momente im Leben. I like.
  • „Think About Things“ – Synthie-Pop von der isländischen Band Daði og Gagnamagnið. Nie hat jemand cooler in smaragdgrünen Schlafanzügen auf der Bühne gestanden!

3. Ich vergesse den Alltag beim Deep Dive ins ESC-Nerdiversum

Für manche ist “ESC” gleichbedeutend mit dem einen Abend Mitte Mai, an dem das Finale live im Fernsehen übertragen wird. Meine ESC-Experience beginnt ab Februar, wenn die ersten Länder bekannt geben, welchen Beitrag sie dieses Jahr beim Eurovision Song Contest einreichen. Und ab dann mache regelmäßig ich für 2 Stunden einen Deep Dive ins ESC-Nerdiversum und vergesse alles um mich herum.

Ab dann ist es eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, die faktenbasierten News auf der offiziellen Seite des ESC zu checken, bei eurovision.de den Zirkus aus der deutschen Perspektive zu verfolgen, und den ESC-Gossip hole ich mir bei queer.de. Natürlich höre ich auch die eingereichten Songs hoch und runter, inklusive Musikvideos. Immer wieder werfe ich auch einen Blick auf die Wettquoten – wen sehen die Bookies dieses Jahr vorne? Fun Fact: meine persönlichen Lieblingsbeiträge sind fast nie identisch mit den offiziellen Favoriten. Macht nix.

Es geht mir aber nicht nur um die Songs an sich, sondern auch um Hintergründe, um Einordnung, um Statistiken. Ich will wissen, wer die Bands sind und wie der Vorentscheid in dem Land war – erdrutschartig oder total knapp? Ist es ein Überraschungssieg oder hat der favorisierte Titel gewonnen?

Denn in die nationalen Vorentscheide gucke ich auch gern rein. Nicht nur beim deutschen, auch bei anderen. Vor allem beim schwedischen Melodifestivalen – das Auswahlverfahren in Schweden ist einfach der Hammer. Was die für einen Aufwand machen, beeindruckt mich sehr. Es gibt Gründe, warum Schweden regelmäßig in den Top 5 beim Finale landet und schon sechsmal den Titel gewonnen hat.

4. Der ESC ist eine riesige Diversity-Party

Musikalisch ist der ESC vielleicht Mainstream, aber die Menschen auf der Bühne sind es nicht. Ich liebe, liebe, liebe die Unterschiedlichkeit der Künstler:innen!!!  Wer im 08/15-Alltag aneckt, hat beste Chancen, auf der ESC-Bühne gefeiert zu werden, denn das Event ist eine große Diversity-Party. Weiße heterosexuelle Cis-Männer, die in den meisten Kontexten den Maßstab für die gefühlte Normalität setzen, sind definitiv in der Unterzahl. Der ESC ist laut, schrill, multinational, interkulturell, queer, genderfluid. I love it!

Das passt nicht allen. Zum Beispiel nehmen Russland und die Türkei nicht mehr am Eurovision Song Contest teil. Die Türkei nennt als offiziellen Grund für den Boykott , dass der ESC von seinen “moralischen Werten” abgewichen ist. Und dass eine bärtige Drag Queen türkischen Kindern nicht zuzumuten sei. Die homo- und transphobe Kritik bezieht sich auf den Sieg der queeren Künstlerin Conchita aus Österreich mit dem Titel “Rise Like a Phoenix” (ein Wahnsinns-Song! Gänsehaut-Garantie!).

Diversity. Großes Thema beim ESC! Damit ist der Song Contest eine hochpolitische Veranstaltung, da kann die Europäische Rundfunkunion (EBU) als Veranstalterin auf Neutralität pochen, solange sie will.

Die Künstler:innen auf der ESC-Bühne singen also nicht einfach nur ein Lied. Sondern sie machen den Eurovision Song Contest zum Vorbild für eine inklusive, diverse Gesellschaft. Wer auf der ESC-Bühne steht, wird für die eigene Andersartigkeit nicht ausgegrenzt, sondern gefeiert. Für manche ist das vielleicht das erste Mal im Leben. Das ist nicht nur wunderbar und herzerwärmend, sondern macht auch anderen Mut, die merken, dass die momentanen gesellschaftlichen Normen für ihr eigenes Leben zu eng sind.

5. Der Eurovision Song Contest ist mein liebstes Familienfest

Ich bin so ein ESC-Nerd, dass ich die Semi-Finals und das Finale auch allein gucken würde. Hab ich auch schon. Zum Beispiel weil ich krank war. Aber zum Glück ist mein queerer Freundeskreis in Berlin mindestens so ESC-verrückt wie ich.

Das Finale Mitte Mai ist die Party des Jahres und hat für mich in etwa den Rang von Weihnachten. Es ist ein echtes Familienfest mit meiner Berliner Wahlfamilie, und es fällt auf, wenn jemand nicht dabei ist.

Gäste sind natürlich willkommen. Nur eins muss klar sein: Wir nehmen das ernst mit dem ESC. Belangloser Small Talk ist nicht, schon gar nicht während der Show. Gelacht werden darf aber trotzdem! Geht ja auch gar nicht anders: Manche Beiträge sind einfach krass over the top, manchmal ist die Moderation grauenhaft gescriptet und ab und zu ist der Begleitkommentar ohne schwarzen Humor nicht zu ertragen. Lachen hilft 😀

Natürlich kennen wir die Titel alle schon, aber spannend ist doch: Wie präsentieren sich die Künstler:innen beim letzten entscheidenden Live-Auftritt? Wer trifft die Töne, wer verliert die Nerven? Wie reagiert das Publikum im Saal? Alles wichtig, um den Bewertungsbogen auszufüllen für unsere private Punktevergabe.

Nach der Show kommt die Votingphase. Auf der Bühne passiert in der Zeit nix Spannendes, da darf also fachfremd gequatscht werden 😉 Aber dann! Dann werden die Punkte verkündet. Erst die von der Jury, dann die Stimmen aus dem Publikumsvoting. In dieser Phase kann ich mit denen mitfühlen, die bei einem Elfmeterschießen beim DFB-Pokalfinale sich die Nägel blutig knabbern.

Der ESC ist gelebte Basisdemokratie. Wer den Wettbewerb gewinnen will, muss mehr Menschen begeistern als die aus den Nachbarländern. Manchmal stimmt der Gewinner-Song mit den Prognosen der Wettbüros überein, oft aber auch nicht. Auf eins kann ich mich aber verlassen: Mein persönlicher Favorit gewinnt ganz sicher nicht. Dieses Jahr ist mein Lieblingstitel “Queen of Kings”. Sorry Norwegen, ich hätte euch den Sieg gegönnt!

Feier dich für deine Andersartigkeit!

Hand aufs Herz: Wie oft hast du schon gedacht “Ich gehöre nicht dazu”? Mich hat dieser Glaubenssatz fast mein ganzes Leben begleitet. Erst als ich erkannt habe, wie und wann dieser Glaubenssatz entstanden ist, konnte ich ihn loslassen. Ich fühle endlich, dass ich dazu gehöre. Vor allem in größeren Gruppen war mir das früher nicht möglich.

Ich finde es seitdem auch nicht mehr schlimm, dass ich in vielen Dingen anders bin als die (gefühlte?) Mehrheit. It’s not a bug – it’s a feature! Und ich traue mich, diese Andersartigkeit auch zu zeigen. Zum Beispiel: Ich liebe den ESC – und das ist auch gut so.

Falls du auch näher an dich selbst ranrücken möchtest, falls du innere Blockaden überwinden möchtest und deine empfundene Andersartigkeit als liebenswerte Besonderheiten sehen möchtest, dann unterstütze ich dich gern mit meinem Coaching.

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5 Kommentare

  1. Aber der ESC wird leider nie wieder so sein wie bisher, kein Peter Urban mehr… Ich hoffe so sehr, dass es jemand wird der oder die nicht Schöneberger heißt 😉

    1. Mein Tipp: ESC-Babsi moderiert weiterhin die deutschen Events, Jan Böhmermann und Olli Schulz kommentieren die Show aus dem Off. Haben sie dieses Jahr ja schon in Österreich beim ORF geübt.

  2. Wie cool, liebe Djuke! Toller Artikel. Hatte echt Spaß beim Lesen. Der ESC fiel ein paarmal auf das Chorwochenende mit meinem queeren Chor. Da haben wir nach einem langen Probetag am Abend alle zusammen ESC geschaut. In queerer, musikalischer Community ist das mega lustig.
    Liebe Grüße
    Kerstin

  3. Liebe Djuke,
    es gab eine Phase in meinem Leben, in der ich sehr gerne den ESC geschaut habe, wenn auch nur auf den einen finalen Abend bezogen. Ich erinnere mich noch sehr gut daran: Ich lebte zu der Zeit in England und wir trafen uns in einer Gruppe Gleichgesinnter, vor allem um dem Fernseh-Moderator (ich glaube, der BBC) zu lauschen, der das Event in einer unvergleichlichen Art kommentierte, die ein Feuerwerk britischen Humors war. Es waren die Abende, an denen ich unendlich viel und ausgelassen gelacht habe und eine Leichtigkeit und Lebensfreude gespürt habe.
    Als erst dieser bestimmte Moderator wegfiel und dann auch noch diese Gruppe, kam meine ESC-Zeit zum Ende. Alleine machte mir das keinen Spaß mehr.
    Und es muss ja auch nicht der ESC für mich sein, aber woran ich mich beim Lesen Deiner zauberhaften Liebeserklärung an den ESC erinnert habe: Wir brauchen alle irgendetwas im Leben, was uns so eine Freude macht, dass wir Lebensfreude spüren und ausleben können.
    Danke für diese Erinnerung! Mir geht dieser so wichtige Aspekt zwischenzeitlich ab und an flöten.
    Und dann ist es toll, jemanden wie Dich zu kennen, die mit ihrer Lebensfreude ansteckend ist.
    Danke dafür!
    Liebe Grüße
    Aimée

  4. Liebe Djuke, dein Artikel hat mich sehr berührt. Unter diesem Aspekt habe ich den ESC noch nie gesehen. Und ich habe mir gleich deine favorites angehört. Die sind ja echt der Knaller, einfach als Typen. Wow.
    Danke für diese überraschend andere Sichtweise, die du mir geschenkt hast. 🤗

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