12 von 12 im Januar 2024: Robo-Djuke und die Entdeckung der Langsamkeit

12 von 12, das heißt: 12 Bilder vom 12. Tag im Monat. Und plötzlich wird aus einem unspektakulären Tag ein ganz besonderer, weil ich meine Aufmerksamkeit auf die kleinen Dinge fokussiere.

Der 12. Januar 2024 ist ein Freitag. Es ist grau, trüb, nebelig, und die Temperatur pendelt um den Gefrierpunkt. Im Ergebnis ist es sauglatt auf den Berliner Straßen. Der rbb rät, zu Hause zu bleiben. Oder wie ein Pinguin zu laufen, die bekanntermaßen viel Erfahrung mit unfallfreier Fortbewegung auuf rutschigen Flächen haben.

Apropos Unfall. Vor genau 2 Wochen bin ich mit dem Fahrrad gestürzt. Aua!! Seitdem ist mein linker Arm geschient und ich habe mehr Arztpraxen von innen gesehen als in den letzten 3 Jahren zusammen.

Die Verletzung ist kompliziert, deswegen war ich sogar in der Charité, in Berlins renommiertesten Krankenhaus. Das mit Christian Drosten, falls den noch jemand kennt. In der Virologie war ich aber nicht, sondern in der Orthopädie. Der Ellenbogenchirurg dort hat entschieden, dass wir erstmal die “konservative Therapie” versuchen, das heißt: ohne OP.

Fingers crossed, dass das klappt! So oder so steht mir ein langwieriger Heilungsprozess bevor. Und meinen Alltag muss ich momentan einarmig meistern.

Das heißt: Alles dauert dreimal so lang und braucht fünfmal so viel Energie wie vorher. Auch die scheinbar einfachsten Sachen: eine Mülltüte wechseln, Kniestrümpfe anziehen, bezahlen an der Kasse (ein Hoch auf die Option “Kartenzahlung”, denn einarmig Geld aus dem Portemonnaie zu fummeln ist richtig lästig!)

Ausnahmsweise habe ich heute keinen Arzttermin, sondern mache so dies und das. Unter anderem ein Päckchen abholen, was sich mit gebrochenem Arm zu einer 2-Stunden-Expedition entpuppt.

Komm, ich nehm dich mit durch meinen Schneckentempo-Tag!

#1 von 12 – Darf ich vorstellen? Mein Robo-Arm. Ist inzwischen die dritte Schiene, diesmal angepasst von einem Spezialisten der Charité. Sieht monströs aus, ist auch monströs. Ich hab trotzdem mehr Bewegungsfreiheit als in den beiden Schienen vorher. Ich soll den Arm kräftig beugen und strecken – in dem sicheren Rahmen, den mir die Schiene ermöglicht.

Vom Aufstehen bis zu diesem Foto – gewaschen, Zähne geputzt, angezogen – dauert es eine Stunde. Eine Stunde! Ich bemühe mich, nicht allzu sehr von meiner Langsamkeit genervt zu sein.

#2 von 12 – Ohne Frühstück, ohne mich!

Einarmig Essen zubereiten ist eine Kunst für sich. Wobei – es ist 1 rechter Arm + 2 Finger von links. Die 2 Finger machen einen riesen Unterschied! Ich kann zum Beispiel einen Apfel vorsichtig festhalten oder (langsam!!) auf einem Schneidbrett in die richtige Position schieben, während ich das Messer in der anderen Hand halte.

Um den Apfel vom Brett in den Porridge zu befördern, hab ich mir die Technik auf dem Foto angeeignet. Geht. Dauert halt länger als Brettchen mit links zu greifen und mit rechts den Apfel in den Topf zu schubsen.

#3 von 12 – Gegen Mittag mach ich mich auf, um ein Päckchen abzuholen. Leider liegt es nicht im üblichen Post-Späti um die Ecke, sondern in einer Filiale, die richtig weit weg ist.

Mit dem Fahrrad wären es 2 mal ca. 10 Minuten gewesen (wobei ich heute bei der Glätte nicht geradelt wäre). Ohne Rad muss ich mit Bussen dahin.

Um in einen Bus steigen zu können, muss ich das Haus verlassen. Und dazu muss ich mich winterlich anplünnen. Dieser Prozess ja schon mit gesunden Gliedmaßen aufwendig, einarmig ist es ein eigener Tagesordnungspunkt. Vor allem dieser frickelige Doppelreißverschluss am Mantel nervt.

Am liebsten möchte ich mich nach dem Anziehen hinsetzen und Pause machen, aber ich befürchte einen Hitzschlag. Also raus ins Ungemütliche und gemäß der Empfehlung des rbb elegant wie ein Pinguin zur Bushaltestelle watscheln.

#4 von 12 – Ich fahre mit einer Buslinie, die ich noch nie gebraucht habe und muss an dieser idyllischen Riesen-Kreuzung umsteigen. Sucht jemand die hässlichste Ecke von Berlin? Ich hätte da einen Vorschlag…

Busfahren ist übrigens auch wahnsinnig anstrengend. Erste Aufgabe: so schnell wie möglich einen Platz suchen, denn wenn der Bus erstmal losgefahren ist, schaukelt er wie ein Wüstenschiff. Da muss ich irgendwo was zum Festhalten haben.

Falls der Bus also schneller losfährt als ich mich hinsetzen kann, umschlige ich mit dem rechten Arm eine Stange und bewege meine Füße freiwillig keinen Zentimeter, um das Gleichgewicht zu halten. Das bedeute, ich stehe im Weg, denn ich hab auch noch hinten einen Rucksack. Damit versperre ich den Gang, wovon regelmäßig andere Menschen genervt sind. Mir ist das unangenehm, kann es aber nicht ändern, ohne mich zu gefährden. Bewusst in Kauf nehmen, andere zu stören – das lern ich gerade.

Heute sind noch Plätze frei und ich fordere eine Frau auf, vom Platz am Gang auf den freien Platz ans Fenster zu rutschen. Sie ist not amused, dass sie jetzt rechts von sich diese sperrige Frau sitzen hat, aber so ist das eben.

#5 von 12 – Nach nur 30 Minuten in überfüllten Bussen erreiche ich die Postfiliale… Das Päckchen ist ein Umschlag und passt zum Glück in meinen Rucksack.

Direkt gegenüber ist der größte Biomarkt, den ich je in Berlin gesehen hab. Meine Tage sind gerade nicht sehr ereignisreich, also erkunde ich mal diese Attraktion.

Drinnen gibt es entweder riesige Einkaufskörbe, was das Einkaufen mit nur einem belastbaren Arm sehr umständlich macht. Oder Mini-Einkaufswagen. Drei an der Zahl. So einen hab ich noch nie benutzt, den nehm ich! freu ich mich. Ich fummele mein Handy raus (das dauert!), weil ich ein Foto für 12 von 12 machen will. In der Zeit stürmt eine Frau im Sauseschritt in den Laden und schnappt sich einen der Mini-Wagen. Noch 2 übrig.

Während ich versuche, einarmig ein unverwackeltes Bild zu machen, betritt ein Vater mit zwei etwa vierjährigen Kindern den Laden. Das erste Kind schnappt sich einen Mini-Wagen, das zweite Kind trödelt hinterher.

In mir kommt ein “Ooooh nein!” hoch. Ich klemme mir fix das Handy unter die Achsel und nehme mir so schnell ich kann den letzten Mini-Wagen. Kind 2 und Papa sind sichtlich verdattert. “Sorry, Arm gebrochen. Ich kann keinen Korb tragen!” sage ich entschuldigend. Das Kind fängt an zu brüllen. Die beiden tun mir zwar leid, ich finde aber auch, dass sich zwei Kinder durchaus ein Einkaufswägelchen teilen können. Oder dass die Sauseschritt-Frau einen Korb hätte nehmen können.

Und wieder eine Situation, in der es darum geht, es auszuhalten, andere zu stören, weil ich meine Bedürfnisse ganz nach vorn stelle.

#6 von 12 – Nach 2 Stunden bin ich wieder zu Hause. Völlig erledigt, kalt, hungrig. Am liebsten würde ich mit Wärmflasche auf die Couch, aber leider verschärft sich dadurch das Hungerproblem. Also mache ich mir so schnell ich kann zwei Käsebrote. Kombiniert mit Einarm-kompatiblen Frischzeug: Kirschtomaten und Banane. Der Entspannungsfaktor kommt mit Doctor Who auf dem Screen.

#7 von 12 – Abwaschen. Nervt mich schon zweihändig. Jetzt wird es zur Kunst. Und zur Achtsamkeitsübung – alles sehr vorsichtig, damit ich nicht Scherben statt sauberem Geschirr produziere. Ich lasse alles immer einweichen, dann wische ich nur noch ganz sanft den Dreck mit einer Bürste runter. Damit ich die 2 Finger links einsetzen kann, ohne dass sich der Frotteegriff meiner Schiene mit Wasser voll saugt, stülpe ich eine Plastiktüte drüber.

Geht. Und dauert und dauert und dauert.

#8 von 12 – Morgen hat eine Freundin von mir Geburtstag. Ein Geschenk hab ich. Nun würde ich es gern verpacken. Noch son Ding, was mit zwei funktionierenden Armen eine meiner leichtesten Übungen ist, und jetzt zum Problem wird. Aber irgendwie geht`s.

Ich verwende etwa 2,5 Meter mehr Tesa als meine üblichen 3 Streifen und bin ein bisschen traurig, dass ich meine bunten Schleifen nicht binden oder gar kräuseln kann. Aber dafür stecke ich um so mehr Zeit rein. Und Liebe!

#9 von 12 – Der Großeinkauf wird geliefert. Ich musste den Liefertermin zweimal kurzfristig absagen, weil mir Arzttermine dazwischen kamen. Langsam wurd es etwas eintönig im Essen. Aber heute hat es geklappt. So viele Tüten! Der halbe Flur ist voll.

Komplizierte Essens-Sachen kann ich nicht machen, aber immerhin gibt es jetzt wieder Variation im Brotaufstrich; vegane Salami, Linsenaufstrich, Guacamole,…

#10 von 12 – Nach einer ausgiebigen Pause fühle ich mich stark genug, um mich mit meinem Päckchen zu befassen. Da sind Sachen zum Anprobieren drin. Alles rund um “Klamotten am Körper drapieren”ist mit gebrochenem Ellbogen sehr anstrengend. Aber genau darum geht es. Ich brauche unbedingt BHs, die ich mir mit meiner Verletzung anziehen kann. Aus meinem Wäscheschrank klappt das gerade nur mit einem.

Im Bild: mein Robo-Arm ohne Füllung. Und die hübsche Verpackung von 2 BHs und einem T-Shirt von Snag Tights. Ganz großartige Firma für Menschen, die gern Farbe tragen, aber von der Modeindustrie vergessen werden (weil zu dick, zu dünn, zu groß oder zu klein im Vergleich zur aktuellen Schönheitsnorm). Herzensempfehlung, vor allem für knallige Strumpfhosen.

#11 von 12 – Inzwischen hab ich so viel Energie verbraucht, dass ich anfange zu frieren. Ich brauche dringend eine Wärmflasche und meine Couch.

Einarmig eine Wärmflasche machen braucht auch einen Trick. In diesem Fall eine große Küchenschüssel. Ich hab nicht genug Kraft im linken Arm, um eine Wärmflasche zu halten. Die Schüssel stabilisiert das ganze, und zwar auf einer Höhe, auf der ich das gefüllte Ding dann auch zudrehen kann.

Hört sich kompliziert an. Ist es auch. Funktioniert aber.

#12 von 12 – So. Ich steh hier heute nicht mehr auf. Ich hab ein Meer aus stabilisierenden Kissen um mich rum, eine Wärmflasche, meinen dicken Kuschelpulli und ne Wolldecke.

Und tippe einhändig in der WordPress-App mein 12 von 12.

Dass alles langsam geht und viel umständlicher ist als ohne Verletzung, damit hab ich gerechnet. Aber dass der normale Alltag (momentan noch ohne Erwerbsarbeit) so viel Energie kostet, hat mich überrascht. Auch dass ich kaum vernünftig denken kann. Es ist schließlich “nur” der Arm.

Andererseits – mein Gehirn muss gerade die ganze Zeit auf Zack sein. Nix da Autopilot. Jeder Reiz von außen wird darauf geprüft, ob ich so reagieren kann wie immer oder ob eine Anpassung an die Verletzung notwendig ist. So gesehen ist es dann doch nicht mehr verwunderlich, dass kaum Hirnkapazität für andere Denkprozesse übrig ist. Und dass ich ständig Pausen auf meiner Couch brauche.

Bis zum nächsten #12von12!

Das Format “12 von 12” ist eine alte Blogging-Tradition. In der deutschsprachigen Blogging-Community wird das Format von Caroline Lorenz-Meyer über ihren Blog “Draußen nur Kännchen” gehostet.

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9 Kommentare

  1. Liebe Djuke,

    oh no, ich kann das so gut nachempfinden! Hatte vor Jahren mal so einen Vorfall. Es schlaucht so dermaßen, das kann man sich nicht vorstellen, ohne es erlebt zu haben. Du leitest es ja noch professionell her, ich bin beeindruckt! Und wie du deinen Tag gerockt und dich gemütlich eingebaut und dann noch so zauberhaft gelächelt hast, das macht, dass ich dich am liebsten einfach mal fest in den Arm nehmen würde!

    Fühl dich von Ferne geherzt und berichte bei Gelegenheit gern mal 1:1 über die BH-Erfahrungen. Die Tights liebe ich (extralang, wie du weißt) auch ganz besonders und habe TOLLE Farben!

    Ich wünsche dir ganz gute Besserung und weiterhin so viel Optimismus.

    Liebste Grüße
    Silke

  2. Liebe Djuke,
    oh je, so ein Mist!!! Du meisterst hervorragend deinen Alltag, das ist nicht einfach, erfordert viel Zeit und unendlich viel Energie. Ich weiß wie sich ein Leben mit Handicap anfühlt ( Oberschenkelhalsbruch vor einigen Jahren, da dürfte ich sechs Wochen nur auf einem Bein hüpfen ).
    Dein Artikel ist so wunderbar zu lesen und an manchen Stelle musste ich echt lachen. Toll, dass dein Humor nicht gebrochen ist.
    Gute Besserung wünsche ich dir und das du weiterhin mit viel Kreativität und einem Lächeln deinen Alltag bewältigst.
    Herzliche Grüße, Birgit

  3. Liebe Djuke,
    ach herrje, du Arme 🙁 Wirklich eine total anschauliche Darstellung deines ungewöhnlichen, anstrengenden und doch “einfach normalen” Alltags gerade :/ Danke dafür! Zeigt auch nochmal, was man alles für selbstverständlich hält, so lange der Körper so funktioniert, wie man es erwartet bzw. gewohnt ist!

    Besonders erfreut hat mich übrigens das Wort “anplünnen” – das habe ich noch nie gehört 😀 Wieder was gelernt!

    Dir wünsche ich auch weiterhin ganz viel Durchhaltevermögen, Zuversicht und Stärke, deinen Alltag einarmig zu bestreiten. Immerhin schult es Kreativität, Dankbarkeit und Demut – auch wenn das vermutlich aktuell nur ein schwacher Trost in deinem aktuellen Alltagswahnsinn darstellt^^

    Ich drücke dir die Daumen, dass dein Arm schnell, gut und vollständig verheilt und es dir bald wieder deutlich besser geht!
    Herzliche Grüße
    Kathrin

  4. Liebe Djuke, weia, tut mir das leid! Ich habe tatsächlich „Mülltüte“ und „Kniestrümpfe“ nachgemacht. F***! Ist das ein Gefrickel. Irre, was Du für Helferchen-Ideen entwickelst. Und dass „mal eben schnell“ gerade für Dich nicht geht und volle Elle nervt, kann ich gut nachvollziehen. Ich wünsche Dir von Herzen gute Besserung, viele OMMMMS und drücke die Daumen für „keine OP“. Hoffe, dass es nicht wehtut.
    Dein Schreib hab’ ich wie immer gefeiert, Du tapfere Humorschreibkönigin, liebe lustige Robo-Dude mit grad wenig zu lachen und die uns mit ihrem Schrei(b)stil dennoch lachen macht. 😘 Allett Schöne! Birgit

  5. Wow, da steckt viel Arbeit drin – in deinem Tag und in diesem “12 von 12”. Wie anstrengend bisher ganz normale Dinge werden, wenn wir nicht zu 100% so funktionieren, wie wir es gewohnt sind, finde ich immer wieder erstaunlich.
    Dir gute Besserung, Geduld und ganz viel Humor mit dem du ach das Schwere leicht(er) nehmen kannst!
    Viele Grüße,
    Heiko

  6. Ohwehohweohweh, liebe Djuke, wie furchtbar! Du Arme! Mein allergrößtes Mitgefühl für deine unpässliche Situation. Danke fürs Mitnehmen in deinen Alltag voll ungeahnter Herausforderungen. Das #12von12-Format führt es bildlich vor Augen, mit welchen Schwierigkeiten du dich durch den Tag schlägst. Darüber macht man sich sonst keine Gedanken. Ich wünsch dir viel Kraft und Geduld, deinen Alltag auf diese Weise zu meistern, und dass dir dein wunderbarer Humor erhalten bleibt. Gute Besserung, dass es nach der konservativen Methode gut verheilt.
    Alles Liebe
    Kerstin

      1. Liebe Djuke,
        danke, dass Du uns trotz Deiner derzeitigen Einschränkungen mit durch deinen Tag genommen hast. Und auf diesem Wege erstenmal Gute Besserung.
        Ich war beim Lesen begeistert, denn Du schaffst es trotz Deiner Schiene und den damit verbundenen Einschränkungen Leichtigkeit zu leben und wundervoll zu beschreiben. Es hat mir Freude bereitet Dich durch deinen Tag zu begleiten.
        Dein Tag zeigt, wie oft wir unsere Gesundheit als selbstverständlich ansehen und vor welche Herausforderungen uns das Leben stellt, wenn man eben mal nicht wie gewöhnlich “funktioniert”. Und gerade wenn ein Arm betroffen ist zeigt es, wie sehr wir dann eingeschränkt sind. Hut ab und Respekt, dass du dennoch die Leichtigkeit und Muße hast uns durch deinen Tag mitzunehmen.
        Ich wünsche Dir noch einen schönen Sonntag und weiterhin alles Gute für Dich und Deinen Arm.
        Anja

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